Bleiben die Lieferketten problematisch?
Was am 8. Januar 2023 eingetreten ist, hätte noch im Oktober des letzten Jahrs kaum jemand für möglich gehalten. Wohl auch die chinesische Regierung selbst nicht. Innerhalb weniger Wochen hat sich das riesige Reich von seiner scharfen Nulltoleranzpolitik gegenüber dem Corona-Virus verabschiedet. Was bedeutet dies für unsere Wirtschaft? Drei Ostschweizer Unternehmer nehmen Stellung.
Allein im letzten Jahr war mehr als ein Viertel der Bevölkerung Chinas von einem Lockdown betroffen, der von ein paar Tagen bis hin zu teilweise mehreren Wochen dauerte. Die Produktion und Auslieferung vieler Güter aus China waren unter solchen Umständen sehr herausfordernd und praktisch nicht planbar. Viele Lieferketten waren über Monate regelmässig gestört oder unterbrochen. Es gab kaum ein Industrieunternehmen in der Ostschweiz, welches nicht von Lieferkettenproblemen berichtete.
Nulltoleranzpolitik ist Geschichte
Seit dem 8. Januar 2023 ist es nun offiziell ganz anders. Die Grenzen Chinas sind wieder offen, Corona-Tests und Quarantäne nicht mehr notwendig. In einer ersten Reaktion haben sich viele Menschen aus Angst vor dem Virus zu Hause verschanzt. Doch dies hielt nur einen kurzen Moment an. Nach und nach wird das normale Leben auch in China wieder einkehren. Das hat auch Auswirkungen auf die Ostschweizer Unternehmen, die viele Güter aus China importieren. In der letzten Umfrage im Januar erwarteten bereits die meisten Unternehmen eine deutliche Verbesserung der Lieferfristen in den kommenden Monaten.
Lockdown noch möglich?
Besteht die Gefahr, dass die chinesische Regierung plötzlich wieder eine Kehrtwende macht und die Bevölkerung in einen neuerlichen Lockdown schickt? Das glauben wir nicht. Unterdessen hat sich die Kommunikation der Regierung radikal geändert. Wurde bis anhin vor der Gefährlichkeit des Virus gewarnt, spielt man unterdessen dessen Gefahr für die Menschen herunter. Im Frühjahr wird der Parteivorsitzende Xi Jinping erneut als Staatspräsident vereidigt. Die chaotische Öffnung nach den Wahlen zum Parteipräsidenten wird ihn bereits viel Glaubwürdigkeit gekostet haben. Eine erneute Kehrtwende würde er vermutlich politisch nicht überleben.
Interview
Wir haben drei Ostschweizer Unternehmer befragt, wie sie mit der Lieferkettenproblematik umgegangen sind und wie sie die zukünftige Entwicklung sehen: Harry Ramsauer von Ramsauer Radsport, Daniel Ettlinger vom Ostschweizer Medienhaus Galledia und Urs Schwenk vom Baggerhersteller Menzi Muck aus Rüthi/SG.
Dr. oec. Urs Schwenk
Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident
Menzi Muck Gruppe AG
Daniel Ettlinger
CEO
Galledia Group AG
Harry Ramsauer
Inhaber
Ramsauer Radsport
Inwiefern mussten Sie sich in den vergangenen Monaten mit der Lieferkettenproblematik in Ihrem Unternehmen auseinandersetzen?
Urs Schwenk: Wir haben bei einem unserer Unternehmen seit Beginn des Jahres 2022 eine wöchentliche Taskforce-Sitzung eingeführt, in der die aktuelle Situation diskutiert und Massnahmen entschieden werden. Für unsere Kunden bedeutet das einerseits, dass sehr kurzfristig auch einmal ein Liefertermin verschoben werden muss und andererseits, dass Preiserhöhungen auf die Listenpreise erfolgen.
Daniel Ettlinger: Im vergangenen Jahr bereitete uns die Verfügbarkeit von Druckpapier Schwierigkeiten. Auch für Standardsorten verlängerten sich die Lieferzeiten vorübergehend erheblich. Die Preise zeigten aufgrund des ausgedünnten Angebots stark nach oben. Für eine Tonne Zeitungspapier bezahlen wir heute mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Damit verbunden gestaltet sich die Papierbeschaffung deutlich aufwendiger.
Harry Ramsauer: Die ganze Lieferproblematik begann 2021. Die Nachfrage war bereits 2020 viel grösser als erwartet, konnte aber mit den Vorbestellungen und Lagerbeständen der Herstellenden und dem Detailhandel aufgefangen werden. Von Frühling 2020 bis Herbst 2022 hatten wir immer wieder mit Lieferverzögerungen zu kämpfen. Ab Frühling 2022 hat dann die Nachfrage spürbar nachgelassen. Da von den Herstellern zu spät gelieferte Fahrräder gar nicht oder nur mit sehr schlechten Konditionen storniert werden konnten, ist die aktuelle Lage so, dass es zu viele Fahrräder auf dem Markt hat bei gleichzeitigem Rückgang der Nachfrage.
Welche konkreten Massnahmen haben Sie getroffen?
Urs Schwenk: Unser Einkaufverhalten hat sich im Grundsatz nicht geändert. So bauen wir auch weiterhin keine zusätzlichen Lager auf. Jeder nicht nachvollziehbare Preisaufschlag oder auch ein Lieferverzug wird diskutiert und kann auch dazu führen, dass wir uns von langjährigen Lieferanten verabschieden.
Daniel Ettlinger: Bis im letzten Jahr haben wir Papier just in time bestellt und an die Maschine geliefert bekommen, ohne ein Lager zu führen. Aufgrund der schlechten Verfügbarkeit legten wir für einzelne Hauptsorten kurzzeitig wieder ein Papierlager an.
Harry Ramsauer: Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung hatten wir mit dieser Situation gerechnet und zwei Brands aus dem Sortiment genommen. Zudem haben wir die Vorbestellungen für das Jahr 2023 sehr vorsichtig kalkuliert.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung in diesem Thema?
Urs Schwenk: Die Berücksichtigung von Lieferanten aus der Schweiz oder dem nahen Ausland bekommt wieder eine höhere Priorität. Die Standardisierung bzw. die Konstruktion von Gleichteilen wird im Maschinenbau auch aufgrund der Lieferketten-Problematik forciert werden. Es ist zu hoffen, dass die langfristige Orientierung der Unternehmen wieder an Bedeutung gewinnt und die kurzfristige Gewinnmaximierung in den Hintergrund rückt.
Daniel Ettlinger: Die Verfügbarkeit von Standardpapieren ist seit dem Spätherbst wieder besser geworden. Nicht korrigiert haben sich bisher die hohen Preise. Das kostet uns einerseits Wertschöpfung, andererseits verteuert es unsere Produkte, da wir aufgrund der schmalen Margen die höheren Preise teilweise auf unsere Kunden überwälzen müssen. Dies ist für eine Branche, die sich mitten in der digitalen Transformation befindet, eine sehr unglückliche Entwicklung. Wir stellen mit Bedauern fest, dass teilweise die teureren Druckprodukte durch günstige digitale Versionen ersetzt werden, unabhängig davon, dass damit allenfalls eine deutlich schlechtere Werbewirkung erzielt wird.
Harry Ramsauer: Die Autoindustrie diversifiziert auch in den Zweiradbereich, spricht von Mobilitätszentren. Ich befürchte, dass bereits im Herbst 2023 der Verdrängungskampf die ersten Opfer fordern wird. Gewinnen werden die Marktteilnehmenden, die einen gut organisierten, effizienten und kundenfreundlichen Werkstattservice anbieten können.
Herausgegriffen – der Handel zwischen der Schweiz und China
Die wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit China sind insbesondere durch zwei Meilensteine geprägt. Zum einen durch den WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2001 und zum anderen durch das Freihandelsabkommen zwischen China und der Schweiz von 2015. Beides intensivierte die wirtschaftliche Abhängigkeit der beiden Länder über die Jahre und unterdessen ist China nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner. Die Schweiz importiert in erster Linie Maschinen, Apparate und Elektronik sowie Textilien, Kleider und Schuhe. Hauptexporte bilden Edelmetalle wie Gold, chemische und pharmazeutische Produkte sowie Präzisionsinstrumente. Dank der Edelmetalle weist die Schweiz gar einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber China auf. Zieht man diese ab, resultiert jedoch ein Handelsbilanzdefizit.
Erfahren Sie mehr über die Ostschweizer Konjunktur: