Wird der starke Franken zur Belastung?
Seit Mitte September hat der Schweizer Franken gegenüber dem Euro insgesamt um über 3% zugelegt. Seit November notiert er unter der vielzitierten Schwelle von 1.05. Müssen wir uns nun auf eine längere Schwächephase des Euros vorbereiten oder wird die Nationalbank wie bis anhin Gegensteuer geben?
Euroschwäche ist ein Segen für SNB
In den letzten Jahren befand sich die Schweizerische Nationalbank selten in einer guten Ausgangslage. Negativzinsen, ein schwacher Euro und deflationäre Tendenzen verdammten sie fast zur Handlungsunfähigkeit. Unterdessen hat sich das Blatt gewendet: Sie befindet sich, trotz aufkommender Inflationsängste, für einmal in einer passablen Situation. Die weltweit steigenden Preise, vor allem bei der Energie und Vorleistungen, führten insbesondere in den USA und auch in Europa zu einer überraschend starken Preisentwicklung der Konsumgüter – deutlich höher, als sie langfristig normalerweise von den Zentralbanken toleriert wird. Diese Preissteigerungen werden sich unweigerlich auch in der Schweiz bemerkbar machen. Denn die Schweiz importiert einen Grossteil der Konsumgüter direkt aus dem Euroraum und dem Rest der Welt. Entsprechend werden die höheren Einkaufskosten an den Endkunden weitergegeben. Dies zeigt sich bereits in einer höheren Inflationsrate in der Schweiz. Die Preise haben im Oktober im Jahresvergleich um 1.2% zugenommen. Durch den hohen Importanteil aus dem Euroraum mildert der starke Franken jedoch diesen Preisdruck ab. Denn dank dem günstigen Wechselkurs können Schweizer Händler ihre Produkte preiswerter im Euroraum einkaufen. Für die Schweizerische Nationalbank, welche in der Vergangenheit aufgrund des schwachen Euros mit einem Rückgang des Preisniveaus zu kämpfen hatte, ist dies eine dankbare Situation. Sie kann das steigende Preisniveau in der Schweiz durch die Aufwertung des Schweizer Frankens abschwächen. Allerdings darf sie die Industrie nicht komplett aus den Augen lassen.
Exportorientierte Unternehmen anpassungsfähig
Die Schweizerische Nationalbank schaut aber nicht nur auf die Preisentwicklung. Sie hat auch diejenigen Unternehmen im Blick, welche in der Schweiz vor allem für den Export produzieren. Mit der aktuellen Aufwertung beim Franken können die Unternehmen bisher gut umgehen. Sie haben immer wieder gezeigt, wie flexibel sie sich an geänderte Rahmenbedingungen anpassen können. Zudem kommt ihnen entgegen, dass im gesamten Euroraum die Preise steigen. Somit können sie die höheren Produktionskosten aufgrund des starken Frankens besser kompensieren. Für die Unternehmen ist eine Aufwertung des Frankens über einen längeren Zeitraum grundsätzlich kein Problem. Entscheidend ist, dass die Aufwertung nicht schlagartig geschieht. Die Sichteinlagen deuten darauf hin, dass die SNB trotz allem aktuell am Devisenmarkt interveniert. Sie möchte auch weiterhin eine schockartige Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro verhindern. Im aktuellen Umfeld haben sich aber wieder mehr Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer gegen den Euro positioniert. Darum ist die aktuelle Entwicklung beim Währungspaar EUR/CHF vielmehr eine Euroschwäche als eine Frankenstärke. Die höhere Inflation in der Eurozone, vor allem aber die Entwicklung der Pandemie, die etwas hilflose Geldpolitik der EZB und das latente Risiko, dass die hochverschuldeten Euroländer auf einmal wieder Probleme bei der Refinanzierung bekommen könnten, spielen eine Rolle. Von daher macht es Sinn, sich trotz Massnahmen durch die SNB weiterhin auf einen schwächeren Euro einzustellen.
Herausgegriffen: Wo liegt die Untergrenze für den Schweizer Franken?
Bis vor kurzem war der allgemeine Tenor, dass die SNB intern bei 1.07 gegenüber dem Euro eine Grenze setzt und aktiv interveniert. Schliesslich sieht die SNB in ihren Modellen den Schweizer Franken weiter als überbewertet an und erkennt somit Handlungsbedarf, einer weiteren Aufwertung aktiv zu begegnen. Unterdessen ist diese Untergrenze Makulatur. Und vermutlich ist es viel eher so, dass die SNB keine absolute Untergrenze definiert hat, sondern in erster Linie keine schlagartige Aufwertung des Schweizer Frankens hinnehmen wird. Schliesslich hat man sich mit der 1.20er-Grenze im letzten Jahrzehnt bereits einmal die Finger verbrannt. Damals hat mit der Auflösung der Untergrenze der Schweizer Franken gegenüber dem Euro innert kürzester Zeit um fast 15% aufgewertet. Dies ist viel schmerzhafter als eine sanfte Aufwertung über Zeit.